Bericht über die Tagung des Rats der Europäischen Grünen Partei in Kiew, 21.-23. Oktober 2005

Wichtige Bemerkung: dies ist in keinerlei Hinsicht ein offizieller Bericht, sondern gibt nur persönliche Eindrücke und Gedanken wieder.

Die Partei lebt!

Der Rat wird erfreulicherweise immer besser besucht. Diesmal waren 170 Leute anwesend, also sehr viel mehr als die 48 Delegierten und 9 Vorstands- („Committee“) Mitglieder plus staff. Seit dem Kongress der EGP in Rom 2004 gab es ein spürbar wachsendes Interesse. Wenn sich die „Zuwachsraten“ so fortsetzen, dann wird es bald möglich und nötig sein, diese Treffen noch differenzierter zu strukturieren.

Die Gastgeber: Die Ukrainischen Grünen

Die Partei der Grünen in der Ukraine (Partija Zelenych Ukrajiny) nimmt unter den Grünen Parteien aus dem Gebiet des früheren Ostblocks eine Sonderstellung ein, weil sie die mit Abstand erfolgreichste war. 1998 war sie mit 5,5% ins Parlament („Verchovna Rada“) eingezogen und war eher Regierungs- als Oppositionspartei. Bei den letzten Wahlen errang sie immerhin noch 1,3%, wurde somit von über 300.000 Menschen gewählt, flog aber wegen der 3-%-Hürde aus der Rada raus. Die Ukrainischen Grünen sind trotz ihrer hohen Mitgliederzahl von 80.000 (eigene Angaben für das Jahr 2005) keine Mitgliederpartei im engeren Sinne des Wortes.
An der orangenen „Revolution“, deren FührerInnen nun ja nicht mehr zusammenarbeiten, waren die Ukrainischen Grünen nicht beteiligt. Sie waren allerdings auch nicht öffentlich dagegen. In der Eröffnungsrede zu dem Kongress begrüßte der Vorsitzende, Vitalij Kononov, die Anwesenden im Land der orangenen Revolution. (Siehe zum Verhältnis Grün und Orange auch den Bericht von Peter Alberts vom vorhergehenden Council in Riga).
Ihre ökologische Ausrichtung macht den Grünen keine andere Partei der Ukraine streitig. Dies hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass die Grünen ihr Profil seit ihrer Gründung vor 15 Jahren behalten konnten. Während sich alle anderen Parteien in der jungen unabhängigen Ukraine auflösten, spalteten oder vereinigten, blieben die Grünen immer die Grünen. Die Existenz der Grünen an sich vermittelt bereits, dass Ökologie eine immens politische Frage ist – dies wird in der Ukraine immer noch nicht für selbstverständlich gehalten (vgl. Gazeta po-kievski vom 24.10.05, S.5).
Da sich im März die Ukrainischen Grünen - allein oder in Koalition – an den ersten postorangenen Parlamentswahlen beteiligen werden, konnten sie ein beachtliches Medienecho erzeugen. Über den Council – dies war wohl ein Novum für die EGP - wurde in Funk und Fernsehen berichtet, nicht nur die Spitze ukrainischen Grünen, Kononov und Kurykin, sondern auch die EGP-Prominenz wurde interviewt.
In deutlichem Kontrast dazu steht, dass die ukrainischen Grünen im Gegensatz zu den viel kleineren polnischen und türkischen Grünen wenig am Grünen Diskurs beteiligt sind. Sie bringen – von der Atomenergiefrage abgesehen - geringe Impulse in die EGP ein. Das war auch diesmal so, als die ukrainischen Grünen selbst GastgeberInnen waren. Sie beteiligten sich nicht aktiv an Diskussionen. Es waren auch nicht viele ukrainische Grüne anwesend. An eigenem Material hatten sie nur ein Blättchen der Regionalgruppe aus dem Regierungsbezirk Ivano-Frankivsk ausgelegt.

Gruppentreffen

Die Sitzung des Councils war wie gehabt so strukturiert, dass sich zunächst verschiedene regionale Netzwerke und Fachgruppen trafen, später dann der gesamte Rat tagte.

Ich nahm an folgenden Fachgruppentreffen teil:

Individual supportership meeting

Es waren VertreterInnen von 7-8 Parteien bei dem von der Heerlen Group vorbereiteten Treffen anwesend. Weil Lin Tabak von der Heerlen Group hierüber schon geschrieben hat, verweise ich auf ihren Bericht.

Green Charter working group

Ziel ist es, einen gemeinsamen grundlegenden Text auf dem Kongress der EGP im Oktober 2006 zu verabschieden. Anknüpfungspunkte können die - bei der Gründung der EFGP im Jahre 1993 verabschiedeten und inhaltlich, thematisch und stilistisch veralteten - „Guiding Principles“ sowie die zu wenig verbindliche Global Green Charter sein. Produktiv diskutierten die Delegierten den generalüberholten „dritten“ Textentwurf. Derzeitiger Diskussionstand: „Nachhaltigkeit“, „Freiheit durch Selbstbestimmung“ (also der Demokratie-Teil), „Gerechtigkeit“ und „Vielfalt“ werden als gleichrangige Blöcke gesetzt. Näheres: philipp.lambert@europeangreens.org

Gemeinsame Klimakampagne

Die EGP wird eine gemeinsame Klimakampagne machen. Der eigens dafür eingestellte Campainer Panu Laturi panu.laturi@europeangreens.org stellte die jetzt losgehende Klimakampagne vor. Sie soll das Grüne Alleinstellungsmerkmal Ökologie herausstellen. In der ersten Phase sollen zunächst die Grünen selbst in dem Thema fit gemacht werden. Damit wir auf Fragen antworten können wie "Ist es wirklich richtig, dass die Klimaerwärmung menschengemacht ist?", "Wie wirkt sich die Klimaerwärmung aus?" usw. Die aus Finnland stammende beauftragte Werbe-Agentur stellte die Kampagnenlinie vor. Ursprünglich war gedacht, diese europaweite Kampagne nur bis 2007 zu fahren. Doch sehen wir es als sinnvoll an, die Kampagne in die allgemeine EP-Wahl-Kampagne einmünden zu lassen. Man war sich bewusst, dass die Kampagne in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich geführt werden muss: unterschiedliche gesellschaftliche Traditionen, unterschiedliche Stärke der jeweiligen Grünen Partei, und nicht zuletzt – unterschiedliches Klima!

Grüner Ost-West-Dialog

Beeindruckend waren die Auftritte von Prof. Jablokov und Alexej Kozlov. Jablokov baut zur Zeit die Grünen in Russland auf. 50.000 Mitglieder ist allerdings die Mindestanzahl, um im vierteldemokratischen Russland Putins als Partei überhaupt registriert werden zu können. Dennoch ist Jablokov zuversichtlich, diese Anzahl zusammen zu bekommen. Es gibt bereits Bündnisangebote von der liberalen Partei Jawlinskijs Jabloko (nicht: Jablokov), die nach den letzten Wahlen nicht mehr ins Parlament kam und seither kriselt. Ökologie sei - bewusst oder unbewusst – ein wichtiges Thema bei den kommenden Kommunalwahlen, da die Menschen immer häufiger Verkehr und reine Luft als wichtige Probleme ansähen.

Podiumsdiskussion(en): Erweiterung(en) der EU

Die EU hat an den Erweiterungen von 2004 und 2007 (2008?) noch viel zu verarbeiten. Allgemein gibt es in Westeuropa derzeit keine politische Kraft, die weitere baldige Beitritte zur EU stark einfordert. Von Kiew aus gesehen stellt sich das natürlich etwas anders dar. Über den Podiums-Diskussionsrunden über „Visionen für Europa“ und „10 Jahre nach Srebrenica and Dayton“, bei denen auch jeweils ein Nichtgrüner mitwirkte, standen demnach dieselben Hauptfragen.

Nicht nur in Bosnien-Herzegowina wurde sehr negativ aufgenommen, dass es so bald keine Erweiterung mehr geben wird und man mit einer unkonkreten „Europäischen Perspektive“ vertröstet wird. Nun seien für Südosteuropa Taten gefragt. Südosteuropa brauche einen Gesamtplan, da es mit dem bisherigen scheibchenweisen Vorgehen kein Weiterkommen mehr gibt: Der ungeklärte Status des Kosovo, das im Vergleich zur USA geringe Engagement der EU in Albanien und das immer zielloser wirkende Anwesenheit internationaler und ausländischer Truppen und Ordnungsbehörden in Bosnien, Kosovo und Makedonien sollten in einer gewaltigen koordinierten Anstrengung überwunden werden. Wenn es auch vielleicht nicht den Beitritt der Staaten des ehemaligen Jugoslawien zur gleichen Zeit gebe, so müsse doch genau daran hart gearbeitet werden.

Doch kann die EU derzeit zu einer Lösung der Fragen in Südosteuropa beitragen? Steht heute Erweiterung im Widerspruch zur Vertiefung der EU? Muss die Grenzen zumachen und scharf bewachen lassen, wer den klassischen Wohlfahrtsstaat erhalten will? Geht das überhaupt?

Die EU selbst

Mehr noch: Fühlen sich die beitretenden Länder in der heutigen EU überhaupt noch sicher? Ist eine diffuse, in sich - nicht nur außen- und sicherheitspolitisch (Irakkrieg!) zerstrittene EU auf Dauer attraktiv [Dies wurde wohlgemerkt vor dem Aufruhr in Frankreich diskutiert!] ? Ist die EU noch ein Bollwerk gegen den Nationalismus angesichts der Tatsache, dass in so manchen alten und neuen EU-Ländern Nationalisten und Rechte in Regierungsverantwortung sind? Sind die nationalistischen Töne der Regierungen in Polen und Zypern nicht eine Reaktion auf eine falsche Art der bisherigen Durchführung der Erweiterung ?

Ist unter diesen Umständen die Wiederaufnahme des Verfassungsprozesses ein guter Weg, zum Beispiel durch Kürzung auf deren Teil 1 und 2? Oder sollen interessierte EU-Mitgliedsstaaten vorangehen und sich weiter integrieren?

Gewiss sind die meisten dieser Fragen schon in der Vergangenheit gestellt worden. Sie werden aber nicht unwichtiger, sondern im Gegenteil immer dringender in einer Zeit, in der nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden Lösungen schwerer in Sicht scheinen als zuvor.

Wie weiter?

In diese Diskussionsstränge hinein passte thematisch ein Dringlichkeitsantrag des EGP-Vorstands (Committee) zum Thema „Wie weiter im Kosovo“, der zu entschiedenem Handeln aufrief, aber auf Antrag derjenigen Delegierten schließlich zurückgezogen wurde, für die die Dringlichkeit des Antrags nicht erkennbar gewesen ist. Daneben wurden verschiedene Resolutionen angenommen, die unter www.europeangreens.org eingestellt sind. Immer noch überwiegen Resolutionen um Fragen von nationalem Rang, die für die Pressearbeit der Einzelparteien zu Hause bedeutend sind. Mehr und mehr Resolutionen aber bündeln den übernationalen Grünen Diskurs und regen ihn wiederum an – zumindest, wenn er in die einzelnen Parteien weitervermittelt wird. Wozu ich beigetragen haben wollte.

Diana Siebert, 13.11.05