Bericht über die Sitzung des Rats der Europäischen Grünen Partei (EGP) in Berlin 16.-18. März 2007

von Diana Siebert

Wichtige Bemerkung: dies ist in keinerlei Hinsicht ein offizieller Bericht, sondern gibt nur persönliche Eindrücke und Gedanken wieder. Die Themenauswahl richtet sich stark nach den Plena, an denen ich teilnahm, und ist auch hier nicht vollständig.

Der Council der EGP findet zweimal jährlich statt. Die letzte Councilsitzung fand im Anschluss an den größeren Congress (Parteitag) der EGP im Oktober in Genf statt.

Ein Abend mit Joschka Fischer


Nicht nur die 49 Delegierten der 34 EGP-Parteien (plus 2 Delegierte der Grünen Europafraktion), sondern auch viele Interessierte fanden sich am 16. März abends in das dann doch nicht voll besetzte Audimax der Humboldt-Universität ein, um zu hören, was der in den USA residierende und lehrende Joschka Fischer als Perspektiven für die EU und Europa vorträgt und mit einer Gruppe von hochrangigen Grünen VertreterInnen diskutiert.

Der auf Deutsch sprechende Joschka Fischer siezte sein Publikum und ging später doch zum Ihr und Du über. Sein Redestil war insbesondere am Anfang sehr analytisch-universitätsdozentisch, im Vergleich zu Wahlkampfreden emotionslos.

Er erfüllte seine von Moderator Daniel Cohn-Bendit angekündigt Rolle als ein von Außen auf Europa Blickender voll. Joschka Fischer sah in der EU der Zukunft deutlich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als vorrangige Aufgabe. Seine Sorge umriss er so: Der indische Außenminister habe ihm damals gesagt, dass Europa nach USA, China, Russland und Indien selbst eine relativ kleine Rolle spiele – oder doch die Tendenz dahin gehe. Das wesentlich Neue an seinem Vortrag war sein Beitrag zur bekannten Frage „Wo beginnt und wo endet Europa“? Er forderte, dass es kein Zwischen-Europa, keine Grauzonen zwischen der EU und Russland geben dürfe. Im Klartext hieß dies, dass Belarus, die Ukraine und Moldawien eine EU-Perspektive angeboten werden solle. Der Türkei solle die Tür nicht zugeschlagen werden. Um den Kaukasus, Libanon und Israel sollte sich die EU besonders kümmern. Auf eine spätere Replik in der Diskussion, dass dies ein sehr geostrategischer Standpunkt sei, verneinte er ebendies. Allerdings wirkte dies für meine Ohren nicht überzeugend. Dennoch war ich froh, dass Joschka Fischer eine relativ konkrete Stoßrichtung zumindest in diesem Punkt skizziert hat. Zur Zeit sind ja anlässlich des 50-Jahre-EWG-Trubels viele Allgemeinplätze von Lissabon bis Helsinki zu hören. Und die Frage „Wo endet Europa“ einmal konkret zu beantworten, ist sicherlich mal eine echte Diskussionsgrundlage.

Joschkas konkrete andere Positionen (Ja zu Tornado-Einsatz in Afghanistan, Ablehnung eines Referendums zur EU-Verfassung u.ä.) waren hingegen dieselben wie gehabt.

Insgesamt stieß mir Joschkas Verengung der EU auf eine Interessens- statt Werte- (oder besser: soziale) Gemeinschaft auf. Gemeinsame Interessen können sicherlich zu gemeinsamem (nur staatlichem ?) Vorgehen führen. Allerdings kann dies leicht zu jenem hemdsärmeligen Wirtschafts- (und sogar militärischen) Aktivismus führen, der die Menschen nicht mehr mitnimmt. Um die Werte- und Grundrechtediskussion kommt man nicht drum rum, wenn die EU bis zum Donezk-Becken und Diyarbakir reichen soll.

Dass der Vortrag und die anschließende Diskussion mit den EGP-Vorsitzenden Ulrike Lunacek und Philippe Lambert, den Europaabgeordneten Johannes Voggenhuber und Rebecca Harms, mit Claudia Roth und Jürgen Trittin auf deutsch ablief, war eine Premiere für eine Veranstaltung im Rahmen einer EGP-Tagung. Kaum jemand im Publikum hatte die Kopfhörer auf, in denen ins Englische übersetzt wurde. Kurz – es fehlte in der Diskussion der Europäische Geist. Joschka, der meines Wissens zum ersten Mal seit 2002 zu den Europäischen Grünen gesprochen hat, hat wie schon damals den europäischen Charakter der EGP nicht in Rechnung gestellt.

Weitere Beschreibung und Kritik an Joschka Fischers Rede von Peter Alberts unter: http://www.remix-generation.de/the-return-of-the-silberrucken/#more-74

Joschkas Rede in Bild und Ton: http://www.greens-efa-service.org/medialib/fe/pub/en/dct/64

Presseerklärung der EGP zu Joschkas Rede: http://www.europeangreens.org/cms/default/dok/173/173612.joschka_fischer_addresses_egp_council_an@en.htm

Bündnis 90 / Die Grünen über die Rede: http://www.gruene.de/cms/themen/dok/173/173597.das_europa_der_gemeinsamen_interessen.htm

Zeitungsberichte: http://www.netzeitung.de/deutschland/586710.html

http://de.today.reuters.com/news/newsArticle.aspx?type=domesticNews&storyID=2007-03-17T101837Z_01_NEI737108_RTRDEOC_0_DEUTSCHLAND-EUROPA-FISCHER.xml

http://www.glaubeaktuell.net/portal/nachrichten/nachricht.php?useSpr=&IDD=1174083381&IDDParent=1067270890&IDDTyp=&IDDPExtra=&IDDTExtra=&IDB=1&Aktuell=0

http://www.handelsblatt.com/news/Politik/International/_pv/_p/200051/_t/ft/_b/1241776/default.aspx/joschka-fischer-erklaert-europa.html

Die Energie- und Klimaschutzdiskussion auf dem Council der EGP am 17. März 07.

Die EGP hat eine doch sehr beachtliche Kompetenz und großes Potenzial in der Energie- und Klimaschutzpolitik. VertreterInnen aus verschiednen Parteien stellten dies in den Vorträgen und Diskussionen heraus. Ehrlich gesagt bin ich positiv davon überrascht. Die EGP wird gebraucht. In vielen Ländern wird die Ökofrage (und wir müssen leider sagen „leider“) nicht von den anderen Parteien rekuperiert, vielmehr haben die Grünen Parteien von 8-10 Ausnahmen abgesehen trotzdem keinen Erfolg.

Claude Turmes http://www.greens-efa.org/cms/default/dok/97/97605.turmes@de.htm wies in seinem analytisch-strategischen Vortrag auf einige Dinge hin, die in der deutschen Diskussion derzeit unterbelichtet sind: - Der tertiäre (dritte) Wirtschaftssektor trägt inzwischen mehr zum Klimawandel bei als die Industrie mit seinem hohen Anteil an Stoffumwandlung und –verformung. 40% der Energie in der EU wird in Büro-, Geschäfts- und Wohngebäuden verbraucht. - Als hoffnungsvollsten Energieträger sieht er Biomasse an. 25% in Europa bis 2030 ist sein Ziel. - ETS statt Flüge - Bio-Treibstoff ist zwar negativ zu sehen, es kann aber die Tür noch nicht zugemacht werden. - Gas soll in den nächsten Jahren NICHT zum Heizen, sondern zur Stromerzeugung verwendet werden, weil so die Stromproduktion nicht von den Primärenergien Atom, Kohle und Öl abhängt – weil also nur so die Energiewende gelingen kann.. - Die wesentlichen Elemente der Energiewende sind für Claude Turmes - aus Biomasse basierende Elektrizität - Überflüssigmachung von Air Condition durch angepasste Architektur - In einer Europäischen Arbeitsteilung soll Solarenergie in Südeuropa und Offshore-Windenergie in Nordeuropa Atom und Kohle überflüssig machen.

Diese Ziele sollen durch - eine „Gasstrategie“ - Abkopplung des Gaspreises vom Ölpreis und eine „non-Shopping-List“ für Gazprom, - eine „Ja-Strategie“ durch Setzen positiver Ziele, - lokale und regionale Grüne VorreiterInnen – es sollen sich die etwa 25 „Grünen“ Großstädte zusammen tun und - eine Allianz mit den VertreterInnen „progressiver“ Energieproduktion erreicht werden.

Zwei kontroverse Diskussionen

Im Anschluss wurde in 4 Zweierdiskussionen über konkrete Strategien gerungen.

Reinhard Loske (Bündnis 90 / Die Grünen) und Anne-Grete Holmsgaard (Schwedische Grüne) waren sich darüber einig, dass wir Grünen „Verstand und Herz der Menschen gewinnen“ müssen und dass Null-Energie-Häuser nicht immer nur hässlich aussehen dürfen. Die Grüne Agenda sollte breit angelegt sein, weil bei der Beibehaltung des derzeitigen Lebensstils die durch bessere Technologie erzielten Effektivitätsgewinne doch wieder durch mehr Konsum „aufgefressen“ werden.

Auch Michael Cramer erntete mit seinen Vorschlägen für ökologischeren Verkehr in Europa nur Zustimmung. Seine Rede ist unter http://www.michael-cramer.eu/verkehr/510945.html eingestellt. In Bereich Verkehr geht es geht nur darum, es endlich zu tun: Europaweite Kerosinsteuer, Schluss mit der Bevorzugung der Straßen- gegenüber der Schieneninfrastruktur und –besteuerung.

CO2 einlagern?
Konfliktreicher ging es in der Diskussion um CO2-Abspaltung und -Einlagerung (CCS, s.a. http://de.wikipedia.org/wiki/CO2-Sequestrierung ) zu, die vom Norwegischen Grünen Frederic Hauge vehement und schaubildgestützt vorgebracht wurde. In Norwegen gibt es schon drei solcher Anlagen. Gabriela von Görne von Greenpeace Deutschland war sich mit der EGP-Mehrheitsposition einig: CCS ist zu teuer, sogar Erneuerbare Energien sind billiger – also könne man gleich die Erneuerbaren subventionieren statt Co2 zu produzieren, was dann teuer unter der Erde oder unter dem Wasser auf viele Generationen eingelagert werden müsste. Zudem sei CCS zu ineffektiv, weil zusätzliche Energie für die Einlagerung aufgebracht werden müsste. An der Geothermie habe man schon gesehen, dass nicht einfach unendlich viel Platz unter der Erde ist.

Bio-Treibstoff
Ebenso kontrovers ging es bei der Diskussion um den ja auch in Deutschland sehr umstrittenen Einsatz von Bio-Treibstoff zu. Peter Ericson von den schwedischen Grünen brach eine Lanze für Bio-Treibstoffe. Ähnlich wie Frederic Hauge bei CCS argumentierte er, dass wir die Energiewende jetzt brauchen und nicht erst in 10 Jahren, wenn wir den Klimawandel noch stoppen wollen. Deshalb sei auch zu begrüßen, dass in Vanuatu Range Rover (und sogar Flugzeuge bei einer Lufttemperatur ab 20°C) mit Kokonuss-Öl fahren. Denn „Alle Emissionen sind lokal“ – und daher könne man überall lokal handeln. In Schweden fährt die erste Biogas-Eisenbahn: Biogas ist für Schweden der beste Bio-Treibstoff. Die italienische Abgeordnete von Verdi (und früheres EGP-Vorstandsmitglied) machte nicht auf die inzwischen bekannter gewordene Tatsache aufmerksam, dass inzwischen Anbauflächen von Grundnahrungsmitteln für Bio-Treibstoffanbau weichen mussten: in Mexiko haben sich die Tortillapreise deshalb schon vervierfacht. Es geht inzwischen sogar schon so weit, dass in Kolumbien paramilitärische Verbände den Anbau von Bio-Treibstoffpflanzen Überwachen und organisieren. Wenn wir als Grüne in diesem Punkt ignorant werden, dann besteht die Gefahr, dass beim Klimaschutz ein Bumerangeffekt eintritt: die Menschen in der dritten Welt werden uns vorwerfen, die Energiewende nur insoweit zu machen, dass Wohlhabende Menschen ihren energieintensiven Stil weiter leben können: „Wir müssen kompetent, tapfer und aggressiv sein.“ Peter Ericson schlug vor, dass ein soziales Labeling für Ökotreibstoffe verbindlicher gemacht werden. In Schweden gibt es diese schon.

Doch wie sieht die Praxis aus?
Mit Martin Bursik und Pecoraro Scanio haben wir EU-weit wieder 2 grüne Umweltminister. Der per Skype (auch dies eine Premiere) zugeschaltete Marek Strandberg von den Estnischen Grünen könnte der Dritte werden). Bursik bedauerte, dass beim EU-Klimagipfel nicht mehr für eine verbindlichen CO2-Reduktion herausgeholt werden konnte. Der Kompromiss zwischen konservativem Industrie- und Grünem Umweltminister war denn ziemlich produktivistisch: Tschechien war in den Verhandlungen für nur 10% Reduzierung der Treibhausgase bis 2020 (es kam ja 20% heraus), als Ausgleich wurde dem Umweltministerium die Förderung erneuerbarer Energien zugestanden.

Der Weg wird also hart. Aber wir haben keine andere Wahl.