Afghanistan-Ratschlag

in Dortmund am 2.September 2007 in Dortmund
Kurzprotokoll von Peter Alberts veranstaltet von der Bündnis 90 / Die Grünen. NRW. Landesarbeitsgemeinschaft Frieden, Europa und AuŸenpolitik in Zusammenarbeit mit den Grünen NRW

Bündnis 90 / Die Grünen. NRW. Landesarbeitsgemeinschaft Frieden, Europa und AuŸenpolitik

Mit einer Begrüßung durch den Grünen-Landesvorsitzenden Arndt Klocke begann der Ratschlag. Arndt zeigte sich sehr erfreut über die gut 80 interessierten BesucherInnen, die nach Dortmund gekommen waren. Die NRW-Grünen hätten bereits auf ihrer letzten Landesdelegiertenkonferenz klar Position bezogen und einen deutlichen Strategiewechsel gefordert. Dabei zeige sich, dass die Grünen in ihrer offenen Streitkultur die schwierige Diskussion auch stellvertretend für andere Parteien führten, in denen eine ehrlich Debatte nicht stattfände. Die Bundesgrünen bat Arndt zum Abschluss seines Grußwortes, eine wahrnehmbare und einheitliche Position zu entwickeln und in der Öffentlichkeit und im Bundestag zu vertreten.

Forum 1

Stephan Hense, Sprecher der LAG Europa / Frieden / Internationales eröffnete das erste Forum „Mo(h)nokultur? – Ressourcen, Wirtschaft und Finanzen im fünftärmsten Land der Erde“ und begrüßte dazu Ute Koczy MdB und Uwe und Astrid Sauermann, JournalistInnen, die vor Kurzem Afghanistan bereist haben. Ein Auszug aus dem dort von ihnen gedrehten Filmmaterial wurde zur Eröffnung des Forums gezeigt. Anschließend nahm Ute Koczy, Entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion Stellung. Ute machte deutlich, dass nicht nur im militärischen Bereich ein Strategiewechsel erforderlich sei, zudem bräuchte es eine Reform der zivilen Aufbauarbeit. Die Drogenökonomie sei in der Tat ein großes Problem: 92 % der Weltproduktion von Opium stammten aus Afghanistan und 13 % der afghanischen Bevölkerung hätten direkt damit zu tun. Das deutsche Engagement im zivilen Wiederaufbau konzentriere sich auf die Infrastruktur und den Bildungsbereich. Gerade letzteres sei in einem Land mit einer Analphabetismusrate von 90 % dringend erforderlich. Mit dem afghanischen Bildungsministerium hat sich Deutschland noch vor kurzem über die Aufstockung eines Alphabetisierungsprogramms in Höhe von 17 Mio. € geeinigt. Astrid und Uwe Sauermann ergänzten ihren Filmbeitrag mit weiteren Details zum Drogenproblem. Schwerpunkte des Mohnanbaus sind die Provinzen Balakhshan und Helmand. In der Drogenproblematik sehen sie ein Haupthindernis für eine positive Entwicklung Afghanistans – die Strukturen der Opiumproduktion zementierten die gesellschaftlichen Probleme, die die Intervention der internationalen Gemeinschaft beseitigen wollte. Zu den möglichen Erfolgsaussichten eines geregelten Aufkaufs der Opiumproduktion durch die internationale Gemeinschaft äußerten sie sich skeptisch – der einzige Faktor von Relevanz für die Drogenökonomie sei der Weltmarktpreis. Zudem würde oft vergessen, dass auch in Afghanistan selbst und in der Nachbarregion (Iran) viele Menschen Heroin süchtig seien, in Afghanistan wird die Zahl der Abhängigen auf 50.000 geschätzt. Die Regierung betreibt medizinische Entzugsprogramme, der stark nachgefragt sind, aber nur einen Bruchteil der Menschen aufnehmen könnten, die Warteliste kann bis zu 10 Jahren dauern.

Forum 2

Das zweite Forum unter dem Titel „Warum wenden sich die Menschen den Taliban zu?“ eröffnete Diana Siebert, Sprecherin der LAG Europa / Frieden / Internationales, und begrüßte Kerstin Müller MdB und Ulrich Fischer vom Helsinki Komitee. Diana verwies auf den provokanten Titel des Forums und stellte die Schlüsselfrage, wie mit den Taliban umzugehen sei.
Ulrich Fischer begann seine Ausführungen mit einem historischen Rückblick auf die Entwicklung Afghanistans seit der sowjetischen Invasion. Damals hätten die USA und Pakistan die Widerstandsbewegung der Mujaheddin massiv gefördert. Die meisten Mujaheddin-Gruppen seien direkt vom pakistanischen Geheimdienst gesteuert gewesen. Auch heute läge die Basis der Taliban in Pakistan. Pakistan sei in der Tat der Schlüssel zur Lösung des afghanischen Problems, so Fischer. Im weiteren Verlauf der Diskussion plädierte er dafür, die afghanisch-pakistanisch Grenze notfalls auch militärisch zu sichern, um das permanente Eindringen von radikalisierten Taliban aus den pakistanischen Medressen nach Afghanistan zu verhindern. Dazu könnten auch die Tornados der Bundeswehr sinnvoll eingesetzt werden. Kerstin Müller konzentrierte sich in ihren Beiträgen auf die Frage, ob mit den Taliban verhandelt werden könnte und dürfte. Sie stellte fest, dass man vorher genau klären müsse, von welchen Taliban man rede, unter diesem Begriff verbärgen sich nämlich durchaus verschiedene Gruppen. Eine Strömung unter den Taliban würde im Wesentlichen für „Recht und Ordnung“ und gegen Korruption kämpfen. Natürlich sei auch deren Rechtsbegriff auch ein radikalislamischer und nicht mit unserem Verständnis von Menschenrechten, insbesondere Frauenrechten, vereinbar – gerade diese Gruppen hätten aber durch ihren Kampf gegen Korruption und Kriminalität einigen Rückhalt in der Bevölkerung. Für die rein islamistischen Fundamental-Taliban würde dies nicht gelten. Afghanischen Fraueninitiativen hätten ihr in Kabul deutlich gesagt, dass sie keine Verhandlungen mit den Taliban wollen, weil diese nichts anderes als die totale Unterwerfung der Frauen anstrebten und deswegen nicht verhandlungsfähig wären. Auf lokaler Ebene mit gemäßigteren Gruppen könne dies aber anders sein. Kerstin zitierte eine UNO-Studie vom Frühjahr 2007, nach der 68 von 378 Bezirken unter der Kontrolle der Taliban stünden, davon zwar nur 5 offen, die anderen aber im Verborgenen ebenso sehr.

Protokoll von Forum 3:

Forum 3 „Der zivile Aufbau: Wie gestalten?“ (Protokoll Diana Siebert) Die - alle auch in den Provinzen tätigen - NGO-VertreterInnen Barbara Unmüßig (Böll-Stiftung), Peter Adler und Nasir Nazary von der Afghanisch-Deutschen Initiative e.V., Selmin Caliskan von Medica Mondiale und Cornelia Brinkmann forderten im von Sven Lehmann geleiteten Forum eine bessere, ja eine andere Ausrichtung sowie eine bessere Koordinierung der ausländischen zivilen Aufbau- und Hilfstätigkeiten. Es sollten mehr Afghaninnen und Afghanen (mit-)entscheiden können, damit kein Dauerabhängigkeitsverhältnis entsteht. Vielmehr soll sich die afghanische Gesellschaft dereinst selbst tragen können. Ob für die Projektarbeit die Präsenz des Militärs nötig ist, wurde unterschiedlich beantwortet. In der täglichen Arbeit suchen die AktivistInnen "Abstand vom Militär"; auf der anderen Seite "hält das Militär lokale Gewaltakteure davon ab offen zu agieren" (Brinkmann).

Podiumsdiskussion

Die abschließende Podiumsdiskussion moderierte die Grünen-Landesvorsitzende Daniela Schneckenburger. Sie begann mit einem Zitat von Antje Vollmer, die in Afghanistan das „Vietnam unserer Tage“ sieht. Daniel fragte die PodiumsteilnehmerInnen, ob sie diese Ernüchterung teilten.
Dr. Citha Maaß, Afghanistan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, bestätigte, dass es Grund zur Ernüchterung gebe. Sie warb dafür, für jedes Aufbauprojekt und jede Region eine eigene Strategie zu entwickeln, insofern brauche es nicht einen Strategiewechsel sondern viele. Citha Maaß betonte, dass Deutschland sich langfristig in Afghanistan engagieren müsse, mindestens noch 15 Jahre. Eine Schlüsselaufgabe sei die Stärkung der afghanischen Sicherheitskräfte – Armee und Polizei. Bei den sog. Provinicial Reconstruction Teams (PRT) müsse der zivile Anteil deutlich in den Vordergrund gerückt werden. Von der Bundesregierung forderte sie die Einsetzung eines/r nationalen Afghanistan-KoordinatorIn im Kanzleramt zur besseren Vernetzung der auf mehrere Ministerien (u. a. AA, BMVg, BMZ) verteilten Zuständigkeiten.
Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth MdB verwies zum Beginn ihres Beitrags auf die umfangreiche friedenspolitische Debatte bei den Grünen und die eingesetzte friedenspolitische Kommission. Sie stellte fest, dass seit 2006 eine erhebliche Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan zu beklagen sei. Deswegen sei auch eine militärische Komponente als Assistenz für den Wiederaufbau nach wie vor unverzichtbar. Claudia warnte davor, ISAF dürfe sich nicht „OEFisieren“. Deswegen reiche es nicht, den deutschen Beitrag an OEF zu stoppen, die Bundesregierung müsse auch international darauf drängen, dass OEF beendet wird. Claudia forderte eine Verstärkung der zivilen Bemühungen, der Wiederaufbau müsse auch in der Fläche ankommen und dürfe sich nicht auf wenige Zentren beschränken. Laut Informationen des BND würde Deutschland wegen des Torando-Einsatzes in Südafghanistan mittlerweile als Kriegspartei gesehen, auch deswegen sei dieser Einsatz falsch. Zum Abschluss plädierte Claudia für eine Überprügung des NATO-Bündnisfalls, auf dem das OEF-Mandat beruht. Die Rechtfertigung für OEF als Selbstverteidigung der USA gegen den Terrorismus sei mittlerweile überholt.
Winni Nachtwei MdB, verteidigungspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, betonte seine Freude darüber, dass nun auch mit dieser Veranstaltung dazu beigetragen würde, den Primat der Politik in dieser Frage wiederherzustellen. Eine rein militärische Diskussion greife zu kurz. Ein so großes und durch lange Bürgerkriege derartig zerstörtes Land wie Afghanistan zu stabilisieren und wieder aufzubauen, sei als Aufgabe bisher in dieser Größe einmalig. Winni forderte ebenfalls, das OEF-Mandat abzulehnen und beklagte, dass der Bundestag über die Einsatzumstände von OEF nicht informiert würde – allein deshalb könne man dem nicht zustimmen. Das ISAF-Mandat nahm Winni aber in Schutz. So wäre die deutsche ISAF-Missione durch ihre „Rules of Engagement“ dazu verpflichtet, Gewalt nur rein reaktiv bei eventuellen Angriffen einzusetzen. Sie könnten daher keine aktive Terrorverfolgung betreiben, so sei der defensive Charakter von ISAF sichergesellt. Zu dem strittigen Tornado-Mandat führte Winni aus, dass die Tornados Aufklärungsergebnisse erbracht hätten. Direkte Verwicklung in Kampfeinsätze durch OEF seien wahrscheinlich nicht vorgekommen, trotzdem sei das Schutzversprechen durch die Tornados nicht verifizierbar und fragwürdig. Die Frage sei, ob die dafür ausgegebenen 70 Mio. € nicht anderswo sinnvoller eingesetzt werden müssten, und diese Frage müssen man bejahen.